Wasserwechsel

erectus MännchenBei diesem äußerst wichtigem Thema muss zunächst eine Frage gestellt werden.
Warum wird Wasser gewechselt?
Bei Seepferdchen, die einen schlechten "Wirkungsgrad" bei der Verdauung haben, muss die Antwort unweigerlich lauten: Um unerwünschte, im Wasser gelöste Stoffe aus dem Kreislauf zu entfernen. Also die durchschnittlich zu ertragende Wasserbelastung möglichst gering zu halten.
Erst an zweiter Stelle ist hier das Auffüllen verloren gegangener Elemente und Spurenelemente zu nennen, was in der Riffaquaristik also bei der Pflege von Korallen wesentlich bedeutender ist.

Wer ohne Wenn und Aber fest davon überzeugt ist, das Entfernen der unerwünschten, organischen und anorganischen Abbauprodukte (in welcher Form nun auch immer) erledige allein der Filter, der möge bitte weder weiter lesen, noch ernsthaft an die dauerhafte Pflege oder gar Zucht von Seepferdchen denken.
Abgesehen von einem Abschäumer, Austauscher oder einem Denitrifikationsfilter, wo wirklich etwas aus dem Kreislauf entfernt wird, kann in den gebräuchlichen, aeroben (sauerstoffreichem) Filter nur ein Umbau der Stoffe erfolgen.
Hier ist also der nur allzu oft und leichtfertig benutzte Begriff "Abbau" nicht nur falsch, sondern auch irreführend.

In der Salzwasseraquaristik ist es oft üblich monatlich 10 Prozent oder sogar weniger Wasser zu wechseln. Das ist in einem Riffbecken, in dem nur sehr wenig oder sogar gar nicht gefüttert wird und die anfallenden Abbauprodukte sofort von verschiedensten Organismen im Stoffwechsel gehalten werden sicher gut. Auf ein dauerhaft betriebenes Seepferdchenaquarium ist dieses Verhalten jedoch nicht übertragbar.
Warum nicht? Die Antwort wurde bei der eingangs gestellten Frage eigentlich geliefert, denn wir müssen ja unerwünschte Stoffe entfernen. Tun wir doch, werden nun einige sicher denken. Richtig, und zwar genau so viele Prozentpunkte wie Wasser in einem Wasserwechsel.
Na, da werden sich die Tiere ja freuen, wenn sie nicht mehr alles an ihren eigenen Stoffwechsel- und Umbauprodukten ertragen müssen sondern nur noch 90 Prozent davon.
So wird sich der Anteil an unerwünschten Stoffen (ich möchte sie hier bewusst provokativ nur noch "Gülle" nennen), immer weiter "aufschaukeln", bis genau das was zwischen den Wasserwechseln an Gülle produziert wurde in genau dem Teil des Wassers welcher gewechselt wird enthalten ist, wenn nicht vorher irgendwie etwas aus dem Kreislauf entfernt wurde!

Um auf der sicheren (saubereren) Seite zu sein und besser verstehen zu können, lassen wir mal die schlecht einzuschätzende, sicher geringe aber tatsächlich vorhandene Entfernung von Gülle aus dem Kreislauf beiseite und tun so als gäbe es sie überhaupt nicht.

reidi-mann-groß-2Jeden Tag kommt eine gewisse Menge an Futter in das Aquarium. Nennen wir die aus dieser Futtermenge entstehende Gülle mal "G".
Nach 10 Tagen sind dann 10 G im Wasser gelöst.
Nach 16 Tagen 16 G usw. usw.
Nun kommt z.B. nach 30 Tagen der große Moment des 10 prozentigen Wasserwechsels!
Von 30 G werden 10 Prozent also 3 G entfernt. Es bleiben also nur noch 27 G im Aquarienwasser. Wie schön! Aber es geht weiter, denn die nächste Fütterung steht bevor.
Weitere 30 Tage später machen wir ja schon wieder einen 10 prozentigen Wasserwechsel. Direkt davor sind aber schon 27 verbliebene G + 30 neue G = 57 G im Wasser gelöst. Minus 5,7 (eben 10 Prozent) macht dann lächerliche 51,7 G.

Um es vorweg zu nehmen, es werden im Laufe der Zeit 300 G vor einem Wasserwechsel und 270 G direkt danach werden, ohne dann weiter anzusteigen. Vorausgesetzt, dass man an der Verfahrensweise und der Futtermenge nichts ändert.

Das hat auch nichts mit Aquaristik zu tun, sondern nur mit Mathematik.
Um den Maximalwert nicht weiter ansteigen zu lassen, muss eben wie oben gesagt, genau das was in der Zeit zwischen 2 Wasserwechseln produziert wurde in genau der Menge Wasser gelöst sein, die gewechselt wird. In diesem Beispiel müssen also 30 G in 10 Prozent des Aquarienvolumens enthalten sein. Wenn 30 G 10 Prozent der Gesamtmenge entsprechen, dann muss die Gesamtmenge (= Maximalwert) unweigerlich 300 G sein.
Daraus folgt, dass der Maximalwert sich aus dem Produkt von den Tagen zwischen den Wasserwechseln und der gewechselten Menge ausgedrückt als Dezimalzahl ergibt! In diesem Falle also 30 Tage mal 0,1(=10 Prozent).
Der Minimalwert ist dann natürlich der Maximalwert minus dem Teil, der in einem Wasserwechsel entfernt wurde.
Hier also 300 G - 30 G = 270 G.
Der Durchschnitt ist natürlich die Mitte zwischen Mini- und Maximalwert.

Aber die oben lächerlich genannten 51,7 G bekommen nun, da der im Laufe der Zeit zu erreichende Mini- und Maximalwert bekannt ist eine ganz neue Bedeutung - sie sind wirklich absolut lächerlich. Sogar der Minimalwert liegt dann über der fünffachen Konzentration! Der wichtige Durchschnittswert ist sogar fünfeinhalb Mal höher!

Was muss also getan werden, um diesen Misstand zu beseitigen?
Natürlich mehr Wasser wechseln.
Aber leider kommt nicht selten nun ein weiterer großer Irrtum der Aquaristik zum tragen. Es wird nicht die Menge, sondern der Rhythmus geändert.
Was bedeutet das?
z.B. 10 Prozent Wasserwechsel jeden 15ten Tag.
Der Maximalwert ist dann bei 150 G direkt vor einem Wasserwechsel erreicht.
Minimal sind dann 135 G direkt nach einem Wasserwechsel enthalten.
Logisch: Doppelter Wasserwechsel gleich Hälfte der Gülle.
Der durchschnittlich zu ertragende Wert ist also die Mitte zwischen 135 und 150.
Sprich 142,5!

Aber was wäre wenn alle 30 Tage 20 Prozent gewechselt würden?
Fast immer bekomme ich zur Antwort "na genau das Gleiche", wenn ich diese Frage stelle.
Rechnen wir nach:
In 20 Prozent der Wassermenge sind 30 G gelöst, wenn es nicht weiter ansteigen kann.
Dann sind also 30 G ein Fünftel des Maximalwertes.
Der Maximalwert ist also gleich geblieben und die Antwort war in Bezug auf den höchsten erreichbaren Wert richtig.
Als Minimalwert kommen dann 120 G heraus. Und genau hier liegt der Unterschied.
Der Durchschnitt ist dann nicht mehr 142,5 sondern 135!
Der Unterschied ist gering, aber da! Es sind durchschnittlich gut 5 Prozent weniger Gülle von den Tieren zu ertragen, als vorher. Also ist die Antwort wenn man es auf die Tiere bezieht, um die es ja geht, falsch!
Aber was sind schon 5 Prozent?

Wie ist es bei einem 40 prozentigem Wasserwechsel alle 60 Tage?
60 G sind in 40 Prozent des Wassers gelöst.
Der Maximalwert ist also wieder 150 G.
Minus 40 Prozent davon sind natürlich wieder die 60 G.
Der Minimalwert ist also 90 G.
Daraus folgt ein Durchschnitt von 120 G!
Verglichen mit den 142,5 G von vorhin haben wir unseren Tieren jetzt schon fast 16 Prozent der zu ertragenden Gülle erspart.

Und wie ist es bei 80 Prozent alle 120 Tage? Also immer noch mit der gleichen pro Zeit verbrauchten Wassermenge.
120 G sind in 80 Prozent des Wassers gelöst.
Wie soll es anders sein, der Maximalwert ist also wieder 150 G.
Minus 80 Prozent davon also 120 G.
Macht einen Minimalwert von 30 G.
Und nun wird wirklich erkennbar, was ich meine:
Der durchschnittlich zu ertragende Wert liegt nur noch bei 90 G! Das sind 63,16 Prozent des Durchschnittswertes bei 10 Prozent Wasserwechsel alle 15 Tage.
Man hat es also den Tieren in Bezug auf die Wasserqualität deutlich
(über 35 Prozent) leichter gemacht zu überleben!

Niemand würde beim Ausspülen eines Trinkglases mit einem Rest Getränk darin versuchen es zunächst mit ein wenig Wasser aufzufüllen, dann einen Teil wegzuschütten und dann das Ganze so oft zu wiederholen, bis das Glas sauber ist.
Jeder, selbst ein fünfjähriges Kind würde zunächst den Getränkerest wegschütten, dann auffüllen, um dann wieder komplett zu entleeren.
Auch hier soll ein unerwünschter Stoff entfernt werden. Der Sinn ist also der Gleiche - nur die Arbeitsweise beim Abwaschen ist wesentlich effektiver!
Warum können das viele Aquarianer nicht? Waschen die nie ab?

Wer jetzt noch behauptet, täglich 5 Liter Wasserwechsel in einem 500
Literbecken wäre das gleiche wie 100 (=20x5) Liter alle 20 Tage oder das wiederum wäre gleich zu setzten mit 250 (=50x5) Liter alle 50 Tage, der hat in Bezug auf die maximale Belastung sicher recht.
Aber leider nichts verstanden!
In diesem Falle bitte am Anfang von vorn mit dem Lesen beginnen, aber mich bitte nicht mit Äußerungen wie "Ich mache monatlich 50 Prozent Wasserwechsel. Nämlich 10 Einzelne a 5 Prozent" belästigen.

Das sollte und hat hoffentlich jedem gezeigt, dass es in erster Linie auf die Menge pro Wasserwechsel ankommt, um wirklich etwas zu bewegen und nicht nur das eigene Gewissen ruhig zu stellen.
Auch wenn das in der heutigen Aquarienliteratur praktisch nicht zu finden ist, bedeutet es noch lange nicht, dass es in der Praxis falsch wäre!

Nicht umsonst hat Guido Hückstedt, der immer wieder als der Altmeister der Aquarienchemie betitelt wird, schon vor Jahrzehnten seine ersten beiden Lehrsätze veröffentlicht. (siehe "Aquarienchemie" von Guido Hückstedt 7. Auflage 1978
ISBN 3-440-04576-5)
Zitate:
"Dreck bleibt Dreck, auch wenn man ihn nicht sieht"
und
"A = E. Wobei A für Abbau und E für Einbildung steht"
Zitate Ende.

comes-gestreift-halbw.-1Wer es immer noch nicht glauben will, der frage sich warum die größten Erfolge in der Meerwasseraquaristik immer noch in so genannten "offenen Systemen" (also mit nahezu unbegrenztem Wasseraustausch mit dem Meer) zu verzeichnen sind.

Oder auch warum in der Süßwasseraquaristik die so genannte "Altwassertheorie", die ja auch praktiziert wurde, aus der "Mode" gekommen ist. Und die zu der damaligen Zeit als "unhaltbar" geltenden Tiere heute oft problemlos züchtbar sind.

Warum also sollten wir eine ähnliche Verfahrensweise wie damals die
Süßwasseraquarianer heute in der Meerwasseraquaristik anwenden?

Immer noch Ungläubige werden nun einwenden, dass das empfindliche "Ökosystem Aquarium" durch den massiven Eingriff belastet und gestört wird.
Das ist richtig - es wird belastet und gestört. Es wird aber auch, und auf Dauer viel massiver, durch die tägliche Fütterung belastet. Nicht so viel auf einmal, aber dafür tagein und tagaus immer wieder mit gewohnter Regelmäßigkeit, was die Tiere bis zu einem gewissen Grad versuchen zu ignorieren. Der Pfleger tut es dann den Tieren mit der Ignoranz gleich, hält aber sehr viel länger durch, bis er die Aquaristik an den Nagel hängt.

Es geht also nur darum, welcher Schaden der geringere ist. Der, der permanent 24 Stunden täglich da ist, oder der, der nur kurz andauert.
 

Geklärt wäre also:
"Warum" - um unerwünschte Stoffe zu entfernen!
und
"Wie" - so viel wie möglich auf einmal!


Was setzt diesem Verfahren Grenzen?

Zunächst ist da natürlich die tatsächliche Wasserbelastung zu nennen. Hier werden vom ganzen System, wozu auch die zu pflegenden Tiere gehören, obere Grenzen gesetzt.
Des Weiteren ist auch der Unterschied zwischen dem Altwasser und dem Frischwasser zu nennen, da ja die Organismen des Meeres aus einem sehr stabilem Milieu stammen und somit nicht so gut an schwankende Bedingungen angepasst sind wie beispielsweise Tiere aus Bächen in Regionen mit ausgeprägten Trocken- und Regenzeiten.
Und, sehr ausschlaggebend, die Qualität des Frischwassers.
Hier ist es zwingend erforderlich, dass ALLE Parameter möglichst stabil den Anforderungen der Organismen entsprechen. Was sich allerdings viel leichter schreiben als realisieren lässt. Es beginnt schon mit dem zur Verfügung stehenden Rohwassers, geht über die Wahl des Salzes und die Gleichmäßigkeit des Gemisches, und endet mit der Reifezeit und einer eventuell vorgenommenen biologischen Konditionierung (Animpfung mit Organismen).


© Jens Thölke 2007

 

Aktualisiert am: 07. April 2008